Thema: (Fotostory) Klaudia - Farben der Sehnsucht
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Alt 25.01.2015, 20:21
Stev84 Männlich Stev84 ist offline
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Kapitel 50: Zweite Chance

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Obwohl Kinga sie immer noch Mutter nannte, war die Kälte aus dem Wort verschwunden. Die Erleichterung auf Seiten meiner Mutter war fast greifbar. Und sie folgte nur zu gerne der Einladung, ins Haus zu kommen. Denn hier erwartete sie ihr kleiner Enkel, den sie bislang noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Die Freude über dieses Kennenlernen war auf beiden Seiten nicht zu übersehen.

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Doch ich ahnte, dass Mama noch viel mit Kinga zu besprechen hatte. Also nahm ich ihr David ab und gab den beiden die Gelegenheit, sich ungestört zu unterhalten. Ich ging mit meinem Neffen in sein Zimmer und der nahm mich gleich bei der Hand um mich zu seinem Steckkasten zu führen. Es war wundervoll ihm dabei zuzusehen, wie begeistert er die Bauklötze in die dafür vorgesehen Öffnungen steckte. Und wenn es mal nicht ganz so gut klappte, half ich ihm. In diesem Moment konnte ich es kaum abwarten, mit meinem eignen Kind genauso da zu sitzen.

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Das Gespräch zwischen Kinga und Mama verlief nicht einfach. Über die Jahre hatten sich die Probleme aufgetürmt und beiden war klar, dass man nicht einfach so tun konnte, als ob nie etwas vorgefallen wäre. Dafür war zu viel böses Blut geflossen. Man konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Und beide erkannte, dass sie jetzt über alles sprechen musste, sonst würde sich dieses Gelegenheitsfenster schließen und möglicherweise nie wieder öffnen. „Warum musstest du mich anlügen, Mutter?“ Das war die Frage, die Kinga am meisten auf der Seele brannte. Doch es gab keine einfache Antwort darauf. „Kinga, Schatz, ich habe oft darüber nachgedacht. Möglicherweise hätte ich anders handeln können. Ich hätte Albert sagen können, dass ich schwanger von ihm war, mit allen Konsequenzen, die das mit sich gebracht hätte. Aber so oft ich darüber nachdenke, ich komme immer wieder zu dem Schluss, dass es richtig war, ihm nichts zu sagen. Damit habe ich ihn geschützt, seine Familie, aber auch mich und dich. Glaubst du es wäre in einer Kleinstadt wie Sierra Simlone Stadt, wo jeder jeden kennt, einfach für dich geworden als Tochter einer Ehebrecherin? Ich wollte dir das ersparen.“

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„Und Schatz, habe ich dir mit Dominik nicht einen guten Ersatzvater gesucht? Er hat dich geliebt und er tut es immer noch. Ganz egal, ob du nun sein leibliches Kind bist, oder nicht. Ich hoffe inständig, dass du auch ihn wirst wieder lieben können. Auf die Gene kommt es doch nicht an. Nein, so zu tun, als ob Dominik dein Vater sei, war die beste Entscheidung gewesen. Und wäre es nach mir gegangen, ihr beiden hättet niemals erfahren müssen, dass ihr nicht Vater und Tochter seid. Ich hätte dieses Geheimnis mit mir ins Grab genommen und ihr beide wärt glücklich gewesen, so wie ihr es wart, bevor alles ans Licht kam. Ich kann verstehen, dass du das anders siehst, Schatz. Ich kann verstehen, dass du dich von mir um zwei Väter betrogen fühlst. Um den einen, den du nie kennenlernen durftest, und um den anderen, den ich dir entrissen habe. Aber ich kann nur beteuern, dass es niemals in meiner Absicht lag, dich zu verletzen. Aber könnte ich die Zeit zurückdrehen, ich würde alles wieder genauso machen.“

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Meine Schwester blickte unsere Mutter eindringlich an. Zum ersten Mal in ihrem Leben erlaubte sie es sich, die ganze Geschichte durch die Augen meiner Mutter zu betrachten. Oh ja, sie hielt Mamas Entscheidung immer noch für falsch und die über Jahre angeeignete Wut und der Zorn ließen sich nur schwer zurückdrängen. Aber plötzlich verstand Kinga, warum unsere Mutter glaubte so handeln zu müssen, wie sie es tat. Und dieses Verständnis machte es ihr einfacher, zwar nicht zu vergessen, aber doch zu vergeben.

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Ja, die Entscheidung meinen Vater auch als Kingas Vater auszugeben, hielt meine Mutter für absolut richtig. Aber mit einem anderen Entschluss hatte sie schon seit Jahren schwer zu kämpfen. Und auch das musste jetzt geklärt werden. „Kinga, Schatz, war es die richtige Entscheidung von mir, dich damals in die Obhut meiner Schwester zu geben? Es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht vorwerfe, dass ich mich nicht genug angestrengt habe, dir aus eigener Kraft zu helfen. Vielleicht…vielleicht hätten wir eine Therapie versuchen sollen. Vielleicht hättest du nur mehr Zeit gebraucht, um…“

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Kinga unterbrach sie. „Nein Mutter, das hätte nichts gebracht. Dafür steckte ich schon viel zu tief im Sumpf aus Hass, Alkohol und Drogen. Wie oft habe ich dich dafür verflucht, dass du mich zu Tante Joanna geschickt hast. Aber wenn ich heute daran denke, was aus mir ohne diese Entscheidung geworden wäre, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Ich war am Ende, Mutter. Aber dein Mut mich gehen zu lassen, hat mich gerettet. Es war hart, aber dadurch habe ich in Justice einen neuen Lebensinhalt gefunden.“ Die Erwähnung von Justice, der Mafia-ähnlichen Organisation der Tante Joanna vorstand, von der ich aber nichts wusste, löste in Mama nicht den Schrecken aus, den sie selbst erwartet hatte. Tief im Inneren hatte sie immer geahnt, dass ihre Zwillingsschwester einen Preis für ihre Hilfe einfordern würde. Doch solange dieser Preis gut für Kinga war, und danach sah es aus, war sie gerne bereit ihn zu bezahlen. „Mutter, ich werfe dir vieles vor, aber in diesem Fall hast du richtig entschieden.“

*****

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Wir blieben noch bis zum späten Abend bei Kinga und Mama erhielt auch noch die Gelegenheit, Kingas Ehemann Olek kennenzulernen. Ich hatte meine Mutter selten so zufrieden erlebt, wie bei unserer Rückfahrt mit dem Taxi zur Pension. Umgehend rief sie Papa an, um ihm zu berichten, was sich ereignet hatte. Während ich auf einer Gitarre spielte, die ich im Aufenthaltsraum gefunden hatte, lauschte ich, wie sie ein ums andere Mal zwischen herzlichem Lachen und Freudentränen wechselte.

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Zum Schluss drückte sie mir den Telefonhörer in die Hand. „Spätzchen“, hörte ich meinen Vater mit zittriger Stimme sagen, „ich bin dir so dankbar, dass du das für Mama gemacht hast.“ „Nicht nur für Mama“, entgegnete ich sogleich. „Ich hab das auch für dich gemacht. Ich weiß doch, wie sehr du Kinga lieb hast.“ Ich hörte ein Schluchzen am anderen Ende der Leitung. Dann räusperte sich mein Vater. „Verdammtes Regenwetter. Da hab ich mich doch glatt erkältet“, versuchte er sich herauszureden, aber ich wusste genau, wie gerührt er war. Endlich, nach so vielen Jahren, kehrte wieder Frieden in unsere Familie ein.

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Natürlich trafen wir uns auch am nächsten Tag mit Kinga. Diesmal kam sie zu uns in die Pension. Und auch sie bedankte sich bei mir dafür, dass ich sie dazu gezwungen hatte, mit Mama zu reden. Und sie entschuldigte sich für die harschen Worte, die sie mir am Vortag an den Kopf geworfen hatte.

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Natürlich verzieh ich ihr. Um ehrlich zu sein, hatte ich unsere Auseinandersetzung bereits völlig vergessen. Und jetzt konnte ich mit ihr auch die Freude über meine Schwangerschaft teilen. Und ich erzählte ihr von Francesco. Nicht die geschönte Story, die ich sonst berichtete, sondern die Wahrheit, wie sie auch Mama und Tante Joanna kannten. „Und du willst diesen Francesco wirklich heiraten?“, fragte sie, als ich geendet hatte. Auch darüber hatte ich hier in Twinbrook noch einmal in Ruhe nachdenken können. Und die Antwort war ja. Ich wollte Francesco heiraten, denn mein Kind gehört einfach zu seinem Vater.

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„Wirst du zu meiner Hochzeit kommen?“, fragte ich hoffnungsvoll. Kinga sah mich erst überrascht an, aber dann begann sie zu lächeln. „Das werde ich mir doch nicht entgehen lassen. Schließlich habe ich doch nur eine Schwester. Außerdem bin ich auf meinen Schwager gespannt. Ein echter Lord also?“ Ich war überglücklich. Am liebsten hätte ich Kinga noch gefragt, ob sie meine Trauzeugin werden wollte. Aber ich ahnte, dass ich damit den Bogen vielleicht überspannt hätte. Die Wunde begann gerade erst zu verheilen und die Narben konnten jeden Moment wieder aufbrechen, wenn wir nicht vorsichtig waren.
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Alooar (10.10.2015), cheli24 (29.01.2015), MinimiMoony (05.02.2015), Simsi68 (09.02.2015)