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Alt 25.09.2015, 22:02
Minchen Weiblich Minchen ist offline
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Kapitel 17 – Eine Sekunde

Eine Sekunde.
Mehr braucht es manchmal nicht um ein ganzes Leben ins Chaos zu stürzen.
Eine Entscheidung – eine Sekunde. Doch was ist, wenn man die falsche Entscheidung trifft - oder zu spät? Was ist, wenn diese eine Sekunde nicht ausreicht - oder das Leben komplett zerstören kann? Würde man das überleben?
Doch wäre es nicht viel schlimmer, diese eine Sekunde nicht zu nutzen?
Sie einfach verstreichen zu lassen und sie mit einem Wimpernschlag bewusst zu ignorieren?
Sind es nicht die Entscheidungen, die wir nicht getroffen haben, die man viel mehr bedauert, als die, die man getroffen hat?
Egal ob falsch oder richtig?
Warum also nutzt man diese eine Sekunde nicht? Diese eine Chance, die man nicht so oft bekommt, wie manch einer annimmt?
Es ist die Angst vor dem Unbekannten. Die Angst vor der Ungewissheit, wie der Weg aussehen könnte, den man einschlagen würde. Doch wenn man einmal tief durchatmet und seinen Kopf ausschaltet, dann weiß man – jetzt oder nie. Schritt für Schritt beginnt man seinen Weg in ein neues Schicksal.
Eine Sekunde.
Ein Wimpernschlag.
Wer weiß, wie sich das Leben dadurch verändern könnte.
In dieser einen Sekunde.


* * * *

„Lil, ich sag es dir noch ein letztes Mal: Nimm deinen dreckigen Finger aus meinem Gesicht!“
„Der ist nicht dreckig“, entgegnete das blonde Mädchen trotzig und drückte weiter ihren kleinen Finger gegen die Wange ihres großen Bruders. Zuerst hatte er versucht es zu ignorieren und sein Müsli einfach weiter zu essen, als wenn nichts wäre. Doch jedes Mal, wenn er dabei war den Löffel Richtung Mund zu schieben, drückte seine kleine Schwester gegen die Wange und der kleine Müslihaufen auf seinem Löffeln kam ins wanken und fiel zurück in die Schüssel.
„Siehst du nicht, dass ich hier esse? Mensch, Lil. Was machst du da eigentlich? Jetzt hör doch mal auf!“
Genervt wischte er ihre Hand aus seinem Gesicht und sah sie genervt an.
Lilly hatte den Kopf schief gelegt, die Nase gerümpft und die Augen zu kleinen Schlitzen verengt. Eine Antwort bekam er nicht, nur ein gemurmeltes „Interessant!“
„Wenn du mir schon nicht sagen möchtest, was das soll, dann lass es bitte einfach. Ich möchte in Ruhe frühstücken!“
Milos Ton war von dem leisen knurren in eine laute Warnung übergegangen, die selbst seine kleine Schwester für ein paar Sekunden von ihrem Gestocher abhielt.
„Du... bist anders“, sagte sie nur und blinzelte ihn an. Ihren Finger hatte sie zu Milos Erleichterung wieder zurückgezogen.
„Wie meinst du 'anders'? Ja, ich bin jetzt älter und ja, ab sofort darf ich auch wichtige Entscheidungen treffen. Mum und Dad werden mich nun auch nicht mehr wie ein Kind behandeln. Aber ansonsten bin ich noch der Alte. Da musst du dir echt keine Sorgen machen.“
Daraufhin schenkte Milo seiner kleinen Schwester ein aufmunterndes Lächeln um zu zeigen, dass er noch immer der große Bruder war, den sie kannte. Eigentlich hätte er jetzt gedacht, dass sie sein Lächeln erleichtert erwidern würde, doch stattdessen stieß sie einen enttäuscht klingenden Seufzer aus.
„Was ist?“, fragte Milo verwirrt und sah seine Schwester an. Diese hob nur kurz den Kopf und schaute ihrem Bruder ernst in die Augen.
„Das hab ich befürchtet“, murmelte sie, drehte sich wieder zu ihrem Müsli um und nahm einen Bissen.
„Was hast du befürchtet?“
Immer noch sichtlich irritiert schaute Milo zu dem kleinen Blondschopf, der in einem Zug die restliche Milch aus der Müslischale leerte und anschließend vom Stuhl sprang. Doch bevor sie in die Küche ging, drehte sie sich noch einmal zu Milo um und antwortete grinsend: „Der Bart zeigt eindeutig, dass du nun ein Mann bist. Zumindest äußerlich. Aber sind wir doch mal ehrlich: du bist und bleibst ein Weichei!“

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Dann hüpfte sie summend in die Küche und ihre kleinen Zöpfe schaukelten munter mit. Sie hatte vielleicht das Aussehen eines kleinen Engels, was durch ihre blonden Haare und ihrem zierlichen Wesen durchaus verstärkt wurde, aber innerlich war sie eindeutig eine Hexe. Obwohl Milo wusste, dass Lilly das nur gesagt hatte um ihn zu ärgern, sank seine Laune immer weiter Richtung Nullpunkt. Welcher Mann hörte schon gerne, dass er ein Weichei sei?

Es hatte lange gedauert, doch der langweilige Alltag schlich sich langsam wieder ins Leben der Familie Cooper. Es war fast wieder wie früher. Fast. Von Shawn hatte Milo schon lange nichts mehr gehört, mittlerweile war er sich gar nicht mehr sicher, ob die Nummer überhaupt noch stimmte. Wem das noch mehr zu schaffen machte als Milo, war seiner kleinen Schwester Mira. Sie hatte immer gedacht, dass sich nun alles zum besseren wenden würde, doch das Warten und die Ungewissheit, was mit Shawn passiert sein könnte, ließ sie innerlich verrückt werden. Es verging kein Tag, an dem sie nicht über ihn nachdachte; was mit ihm los sei und warum er sich nicht meldete. Sie steigerte sich sogar schon so sehr in diese Gefühle hinein, dass sie sich schon Szenen ausmalte, in denen Shawn irgendwo im Graben liegt und seine Leiche unbemerkt vor sich hin vegetierte. Sie hasste diese Ängste und Gedanken, die immer schlagartig in ihrem Kopf platz nahmen. Immer, wenn im Radio oder in den Nachrichten von irgendwelchen Unfällen mit tragischen Enden die Rede war, nahmen ihre Ängste überhand und sie flehte zu Gott, dass es bitte nicht Shawn sei, der dort in dem brennenden Autowrack saß und nicht mehr herauskam. Sie konnte nichts dagegen tun. Sie war ihren Gedanken und ihrer Fantasie hilflos ausgeliefert - und das machte sie verrückt.

Sie hatte es durch die Therapie und durch ihre Familie geschafft wieder am normalen Alltag teilnehmen zu können ohne sich wie ein Zombie zu fühlen, dessen Existenz lediglich aus Schlaf und Nahrung bestand. Die Wunden waren noch nicht verheilt, aber wie ein Kind, das gerade anfing laufen zu lernen, war sie Schritt für Schritt den langen Weg Richtung Besserung gegangen und sie spürte, dass das Ziel immer näher kam. Doch was war mit Shawn? Eigentlich hatte er doch noch etwas viel schlimmeres erlebt als sie. Konnte er es verarbeiten? Tausend Fragen, die ihr keiner beantworten konnte.

Umso erleichterter war sie, als Yuki und Jared die Familie zu einer Familienkonferenz zusammen trommelte. Für jede Art der Ablenkung war sie dankbar.

Langsam ging Mira die Treppe zum Wohnzimmer runter und musste feststellen, dass bereits alle fröhlich plaudernd am Tisch saßen. Automatisch wurden ihre Schritte schneller und sie nahm ihren gewohnten Platz ein. Prüfend schaute Jared in die Runde, räusperte sich kurz um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und eröffnete das Familientreffen mit seiner üblichen Ansprache, die mittlerweile schon jeder mitsprechen konnte: „Herzlich Willkommen meine Lieben. Schön, dass ihr für eure alten Eltern ein bisschen Zeit einräumen konntet. Um euch nicht länger von was-weiß-ich abzuhalten, kommen eure Mutter und ich auch gleich zum Punkt. Doch bevor wir die Neuigkeiten verkünden-“
„Ihr fahrt in den Urlaub!“, platzte es aus Yuki heraus und fing sich auch gleich einen bösen Blick von ihrem Mann ein. Sie wusste, dass er diese Art von Ansprachen liebte, wusste allerdings auch, dass sie sich wie ein Kaugummi in die Länge ziehen konnten. Milo und Mira tauschten verwunderte Blicke aus, während Lilly und Janis etwas gelangweilt auf ihren Stühlen saßen. Wahrscheinlich hatten sie es schon seit einiger Zeit gewusst, was bei den Beiden nicht besonders verwunderlich gewesen wäre.

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„Wie, wir fahren in den Urlaub?“, fragte Milo vorsichtig nach, als meinte er sich verhört zu haben.
„Ihr fahrt in den Urlaub! Euer Dad und ich wollen gerne die Herbstferien zu Zweit verbringen und da dachten wir uns, dass so ein Urlaub für euch ja auch ganz nett wäre. Sonne, Strand und Meer. Nächste Woche geht es dann los.“
Während Milo sich ein dickes Grinsen nicht mehr verkneifen konnte und Janis erzählte, was er alles machen würde, schaute Mira ihren Vater ernst an. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass es sich hier ganz und gar nicht nur um eine nette Geste ihrer Eltern handeln würde, sondern, dass es hier um viel mehr ging als einen erholsamen Urlaub. Und sie spürte, dass sie selbst bei dieser Idee wohl eine große Rolle gespielt haben muss. Aber als sie ihren Vater genauer beäugte und seine anfänglichen grauen Haaransatz und seine tiefen, dunklen Schatten unter den Augen sah, beschloss sie nichts zu sagen. Vielleicht hatten ihre Eltern ja Recht und ein bisschen Erholung würde allen gut tun. Also setzte auch sie ein dickes Grinsen auf, dass sich anfangs falsch anfühlte, dann aber immer echter wurde, als sie hörte, wie Janis und Milo Pläne schmiedeten. Das kleine Lächeln, dass sich Jared, Yuki und auch Lilly schenkten, bemerkte keiner.
Langsam lehnte sich Yuki zu Lilly rüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Das war eine gute Idee, Maus.“
„Dank nicht mir ,Mum. Das war ganz allein Janis Idee gewesen. Aber ich kann verstehen, dass du davon ausgehst, dass es meine Idee war.“
Tief gerührt über diesen Zusammenhalt ihrer Familie stieß Yuki einen leisen Seufzer aus. Das war ihre Familie und egal was noch kommen würde: Sie würden immer zusammenhalten.


Die nächsten Tage vergingen wie im Flug und im ganzen Haus herrschte Chaos. Überall standen offene Koffer herum, die immer wieder im Vorbeigehen gefüllt wurden.
„Muuuuum“, schrie Mira die Treppe runter und schmiss zeitgleich eine Hose in ihren überfüllten Koffer.
„Was ist?“, schrie Yuki aus der Küche hoch. Die Regel 'Wenn Jemand was möchte, hat er zu dieser Person zu gehen' wurde schon vor vielen Jahren wegen nicht Beachtung abgeschafft. Yuki und Jared hatten den Versuch aufgegeben ihren Kindern das Schreien von der Treppe aus abzugewöhnen.
„Wo ist das blaue Top, dass ich mir letztens gekauft habe?“, schrie Mira erneut runter. Genervt legte Yuki den Deckel zurück auf den Topf und stellte die Stufe des Herds runter. Auf der Treppe kam Mira ihr schon ungeduldig entgegen.
„Das müsste noch auf der Wäscheleine sein. Hast du da nach geschaut?“
Doch bevor Mira eine patzige Antwort geben konnte, dass sie sehr wohl dort nachgeschaut hätte und es dort nicht wäre, kam auch schon Milo aus seinem Zimmer gerannt.
„Mum! Gut, dass du da bist. Wo sind meine Flip Flops?“
„Da wo sie immer sind“, antwortete Yuki und musste bei Milos nachdenklichem Gesichtsausdruck schmunzeln.
„Alsoooo sind sie-“, setzte er an und schaute erwartungsvoll zu seiner Mutter, die sich ein Lachen nicht mehr verkneifen konnte.
„Im Keller. So wie immer“, beendete sie seinen Satz und bekam auch schon als nächstes einen kleinen Kuss auf die Wange.
„Danke!“
So ging das noch den ganzen Nachmittag. Im Nachhinein wäre es sicher weniger anstrengender und zeitsparender gewesen, wenn sie sich um die Koffer ihrer Kinder gekümmert hätte. Aber das wäre sicher nur bei Janis gut gegangen, da ihre anderen drei Kinder etwas andere Vorstellungen davon hatten, was in einen Koffer gehörte und was nicht. Lilly zum Beispiel wollte am Liebsten die Stehlampe aus ihrem Zimmer mitnehmen.
„Wieso willst du die Lampe mitnehmen, Maus?“, fragte Yuki ungläubig und starrte auf die deckenhohe Lampe, die direkt in der Ecke ihres Kinderzimmers stand.
„Mum. Diese Lampe strahlt in einer Farbe, die ich so noch nie gesehen habe. Das Licht beruhigt mich und du weißt wie ich sein kann, wenn ich mich aufrege!“
„Droht meine Tochter mir etwa?“
„Ich würde es nicht als Drohung bezeichnen, Mum. Eher als Hinweis, was passieren könnte, wenn ich diese Lampe nicht mitnehmen darf“, erklärte Lilly in einem sachlichen Ton. Die Beiden diskutierten noch eine Stunde lang, bis Yuki irgendwann die Nerven verlor und sie sich darauf einigten, dass Lilly die Glühbirne mit der 'besonderen Ausstrahlung' mitnehmen dürfe.

Als der Taxifahrer am nächsten morgen auch den letzten Koffer im Kofferraum verstaut hatte, gab es zum Abschied noch eine lange Umarmung. Während Mira, Janis und Lilly, die sich Snuffle geschnappt hatte und sie einfach mitnahm, aufgeregt schon ins Taxi stiegen, zog Jared Milo etwas näher an sich heran. „Pass bitte gut auf deine Geschwister auf. Besonders auf Mira. Auch wenn sie wieder viel lacht und allem Anschein nach wieder die Alte ist, hat sie noch immer diese Albträume.“
Besorgt schaute Jared zum Taxi und winkte den Dreien lächelnd zu.
„Ich weiß. Ich höre es auch. Mach dir keine Sorgen, Dad. Du kannst dich auf mich verlassen.“
Dann ging Milo einen Schritt zur Seite und umarmte seine Mutter.
„Mach's gut, Mum. Erholt euch gut.“
Als Milo dann zu seinen plappernden Geschwistern ins Taxi stieg, griff Yuki nach der Hand ihres Mannes, die ruhig auf ihrer Schulter lag.
„Sie sind so groß geworden“, seufzte sie und sah dem wegfahrenden, gelben Auto hinterher.
Wie die Zeit doch verflogen war.

* * * *

Freudestrahlend standen die vier Geschwister vor dem großen, weißen Haus, an dem der Taxifahrer sie raus gelassen hatte. Der Garten war übersät mit roten Mohnblumen und der Ausblick auf das Meer einfach nur atemberaubend. Keine Postkarte hätte diese Aussicht besser widerspiegeln können. Die warme Luft war angenehm und durch das Meer alles andere als stickig. Ein leichter, warmer Wind fegte über das Grundstück und ließ die Mohnblumen und Bäume einladend hin und her schaukeln. Snuffle war die erste, die es nicht mehr länger aushielt und sich aus Lillys festem Griff befreien konnte, um die neue Gegend zu erkunden. Fröhlich lief sie durch die Blumen durch, entdeckte einen Schmetterling und jagte ihn fröhlich mauzend. Lachend sahen die Vier ihrer kleinen Katze dabei zu und konnten es selbst kaum noch erwarten alles zu besichtigen.

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Im Haus wurden die Zimmer aufgeteilt und jeder nahm sich die Zeit seine Sachen auszupacken und in den leeren Regalen zu verstauen. Während Mira ihre letzten T-Shirts in die kleine Kommode schmiss, kam Janis ins Zimmer herein und staunte nicht schlecht.
„Hübsches Zimmer“, stellte er beeindruckt fest und sah sich in dem kleinen Raum mit dem viel zu großem Bett um.
„Ja, klein aber fein“, bestätigte Mira lächelnd und schob die Schublade mit einem lauten Knall zu. „Und? Was wollen wir machen?“
Innerlich klopfte sich Janis für seine Idee dieser Urlaubsreise auf die Schulter, wollte sich aber nichts weiter anmerken lassen. Seine Schwester wieder so ehrlich glücklich zu sehen, war einfach nur toll.
„Ich hab gesehen, dass hier in der Nähe ein kleiner Strandabschnitt mit einem Kiosk ist. Wollen wir da hingehen?“, fragte Janis und sah seine ältere Schwester erwartungsvoll an.
„Na klar!“
Schnell gaben die Zwei Milo und Lilly Bescheid und machten sich auf den Weg.

Der Strandabschnitt war wirklich sehr klein und voller Touristen, doch das störte die Beiden nicht. Als ihre nackten Füße durch den warmen, feinen Sand glitten, war das Urlaubsfeeling komplett. Das Meer rauschte und strahlte in einem türkis, das Mira nur einmal in ihrem Leben gesehen hatte. Doch sie schaffte es nicht weiter darüber nachzudenken und versuchte sich wieder auf ihren Urlaub zu konzentrieren. Janis hatte in der Zwischenzeit den unteren Teil seines T-Shirts hochgeklappt und zu einem kleinen Beutel umfunktioniert, in dem er flache Steine sammelte.
„Was willst du damit?“, fragte Mira und deutete auf die ganzen Steine, die sich schon in seinem T-Shirt-Beutel befanden.
„Das wirst du gleich sehen“, entgegnete er grinsend. Zehn Minuten später ließ er die Steine in den Sand fallen und nahm sich einen. Er neigte seinen Körper leicht zur Seite und ließ den Stein flach aufs Wasser treffen. Er schaffte es tatsächlich, dass der Stein zweimal auf der ruhigen Wasseroberfläche sprang, ehe er in dem türkis verschwand.
„Seit wann kannst du denn so was?“, fragte Mira begeistert und versuchte ihren Bruder in seinen Bewegungen nachzuahmen – scheiterte allerdings.

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* * * *

Irgendwann hatten auch Milo und Lilly es geschafft ihre letzten Sachen in den Regalen zu verstauen und konnten erleichtert aufatmen. Fast alles. Es blieb immer noch die Glühbirne übrig, die sich Lilly aus ihrem Zimmer mitgenommen hatte. Schnell suchte sie sich eine passende Lampe und tauschte die Birnen aus.
„Stimmt mit der Glühbirne etwas nicht?“
Milo lehnte am Türrahmen und beobachtete seine kleine Schwester bei der ungewöhnlichen Aktion.

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Die hielt kurz in ihrer Bewegung inne und antwortete nur: „Die war kaputt!“
Das sollte als Erklärung reichen. Etwas schleierhaft war Milo das ganze schon, er hatte nur keine Lust mit Lilly zu diskutieren. Er hätte ja sowieso keine Chance. Als sein Blick um die Ecke auf den Balkon fiel, hatte er schon eine Idee, wie er die Zeit tot schlagen konnte, bis Mira und Janis wieder da waren.
„Hey Lil, Lust auf 'ne Partie Schach?“, grinste er und deutete mit einer Kopfbewegung zu dem Balkon. „Ich erkläre dir auch, wie das geht. Komm schon.“
Etwas lustlos zuckte Lilly mit den Schultern und murmelte ein „Von mir aus!“ und folgte ihrem Bruder nach draußen. Als die Beiden am Tisch saßen und die Figuren nach Milos Anweisungen aufbauten, kam Lilly eine Idee, die sie aber erst einmal für sich behalten wollte. In der ersten Runde musste Milo viel erklären. In der Zweiten konnten sie schon ernster gegeneinander spielen und Milo gewann, was auch nicht verwunderlich war, da er im Gegensatz zu Lilly, oft genug gegen seinen Vater gespielt hatte. Als Milo mit dem ersten Zug zur dritten Runde eröffnen wollte, hob Lilly kurz die Hand.
„Hast du etwas nicht verstanden?“, fragte Milo und hielt seinen Bauern fest zwischen seinen Fingern, setzte ihn jedoch nicht ab. Doch Lilly schüttelte nur den Kopf.
„Nein, nein. Ich hab alles verstanden. So schwer ist das ja wirklich nicht. Wie wäre es mit einer Wette?“
„Mit einer Wette?“
„Mit einer Wette! Um das alles ein bisschen interessanter zu machen“, bestätigte Lilly ungeduldig und dachte kurz nach. „Wenn -“, murmelte sie und fuhr sich nachdenklich übers Kinn, „ich gewinne, darf ich dein Halloweenkostüm aussuchen.“
Lachend stellte Milo die kleine Figur zurück aufs Feld und ließ sich kopfschüttelnd zurück in den Stuhl fallen. Ob sie sich mit ihrer Entscheidung sicher war, gegen ihn mit Wetteinsatz zu spielen, musste er gar nicht erst fragen. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man sie davon nicht mehr abbringen.
„Okay. Aber falls ich gewinnen sollte-“, setzte er an und schaute sich nachdenklich um, fast so, als würde er auf einen guten Einfall hoffen. Dann kam ihm eine Idee und sein Grinsen wurde wieder breiter. „Sollte ich gewinnen, musst du deine Haare färben.“
Entsetzt riss Lilly ihre Augen auf. Ihre Haare? Wie fies konnte ein großer Bruder nur sein. Sie liebte doch ihre blonden, langen Haare – und das wusste er ganz genau. Nach kurzem zögern streckte sie Milo ihre Hand entgegen, der diese mit einem breiten Grinsen schüttelte.
„Also gut. Dann lass uns Schach spielen!“

Am Anfang sah es noch so aus, als würde Milo gewinnen. Er fegte eine Figur nach der anderen vom Brett und wurde mit jedem Zug schneller und sicherer. Lilly hingegen wirkte etwas unbeholfen und brauchte deutlich länger. Immer häufiger durfte sie sich neckische Kommentare von ihrem großen Bruder anhören, wie hübsch sie doch mit grünen Haaren aussehen würde.

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„Wirklich. Grün ist voll deine Farbe. Ich könnte dir dann noch-“
„Hör auf!“, knurrte sie und warf ihm einen bösen Blick zu, als er einen ihrer Springer vom Feld nahm. „Ich hab versucht nett zu sein. Ich hab versucht fair zu sein, aber jetzt reicht es. Ich kann es nicht riskieren grüne Haare zu bekommen.“
Das breite Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden und etwas skeptisch schaute er zu Lilly rüber. Irgendwie wurde ihm plötzlich etwas unwohl und als sie ihn dann auch noch schief anlächelte, ahnte er, was sie mit ihm abzog. Sie hatte ihn verarscht – und er ist voll drauf reingefallen.
„In zehn Zügen bist du Schachmatt“, flüsterte sie und zog ihre Dame quer übers Feld. Etwas nervös schaute Milo aufs Feld. Er brauchte ein bisschen, doch dann sah er es auch. Er wurde fast schon so blass wie die weißen Spielfiguren auf dem Feld.

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Entspannt streckte sich Lilly und grinste ihren großen Bruder an.
„Dachtest du wirklich, ich lasse mich auf eine Wette ein, die ich nicht zu hundert Prozent gewinnen kann? Oh Milo, du hast noch so viel zu lernen.“
Das Spiel war tatsächlich nach zehn Zügen beendet – ganz genau so, wie Lilly es vorausgesagt hatte.

* * * *

Als Mira und Janis von ihrem kleinen Ausflug zurückgingen, schalteten sich schon die ersten Laternen an und die Straßen und Wege wurden hell erleuchtet. Obwohl die Dämmerung angesetzt hatte, war auf den Straßen noch immer sehr viel los. Die Menschen liefen lachend und plaudernd die Wege entlang. Andere hatten ihr Surfbrett unter den Arm geklemmt und liefen in Badehose und Kopfhörern in den Ohren, die Straße runter, bis sie in ihren kleinen Bus steigen und nach Hause fahren konnten. Noch immer schwärmte Mira von dem warmen Meer, das so klar war, dass sie die ganzen Seesterne und Steine am Boden erkennen konnte. So in diese Schwärmerei vertieft, bemerkte sie gar nicht, dass Janis und sie bereits wieder bei dem weißen Ferienhaus angekommen waren. Als die Beiden den kleinen Weg zur Haustür entlanggingen, stieg Mira ein seltsamer Geruch in die Nase.
„Riechst du das auch?“, fragte sie Janis sofort und schaute sich suchend nach der Quelle des Geruches um. Nun streckte ihr kleiner Bruder ebenfalls seine Nase in die Luft.
„Das riecht nach Rauch!“
Janis entfernte sich ein paar Schritte von seiner Schwester und ging um das Haus herum. Als sie seinen erfreuten Aufschrei hören konnte, folgte sie ihm sofort. Milo und Lilly hatten eine kleine Feuerstelle gefunden, die durch Steine abgegrenzt war und sich weiter hinten auf dem Grundstück befand. Rundherum waren ein paar alte Klappstühle aufgestellt und ein kleines Feuer knisterte in der Mitte, dessen Flammen den Garten in ein wunderschönes orange-rot tauchte. Als Mira sich einen Stuhl schnappte und sich darauf niederließ, kam sie gar nicht dazu, Milo von dem wunderschönen Meer zu erzählen, da Lilly mit einer großen Schüssel voller Marshmallows um die Ecke kam.
„Auja!“, rief Janis begeistert und griff sofort in die Schüssel.
„Janis! Jetzt pass' doch mal auf!“, beschwerte sich Lilly und versuchte ein paar der weißen Süßigkeiten am Rand wieder in die Mitte der Schüssel zu balancieren. Entschuldigend lächelte er sie nur an und setzte sich mit seiner Beute auf einen der aufgestellten Stühle. Völlig in Gedanken versunken, schob er einen Marshmallow nach dem anderen auf den langen Spieß, den Milo jeweils neben den Stühlen platziert hatte. Erst, als er direkt von Milo angesprochen wurde, verließ er seine Gedankenwelt und bemerkte erschrocken, dass alle Blicke auf ihn gerichtet waren.
„Was hast du gesagt?“, fragte Janis seinen großen Bruder und musste sich zwingen, nicht wieder abzudriften. Leise lachend schüttelte Milo seinen Kopf und schaute Janis mit seinen orange-braunen Augen an, die im Schein des Feuers noch mehr glänzten, als sonst. Die Ähnlichkeit zu seinem Vater war verblüffend.
„Ich hab nur gesagt, dass es gleich so weit ist“, wiederholte er sich und hielt seinen Spieß etwas weiter in die Flammen hinein.

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Stimmt ja, schmunzelte Janis in sich hinein, wie konnte er nur seinen eigenen Geburtstag vergessen? Die Antwort saß direkt neben ihm und schimpfte über den viel zu heißen Marshmallow, der sich einfach nicht vom Spieß ziehen wollte.

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....geht gleich weiter...

Geändert von Minchen (26.09.2015 um 23:02 Uhr). Grund: Wörter entfernt gem. Kommi Lukinya
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