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Alt 04.10.2015, 20:40
Minchen Weiblich Minchen ist offline
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...bitte den Part davor beachten...


All die Zeit hatte er versucht das kochende Gefühl in sich zu unterdrücken, aber jetzt konnte er es nicht mehr länger zurück halten.
Es war seine Schuld, dass sie so litt.
Es war seine Schuld, dass seine große Schwester nicht mehr glücklich sein konnte.
Immer weiter steigerte er sich in diese Gedanken hinein und war sich immer sicherer, dass es einen Schuldigen in dieser Sache gab. Dieser Schuldige hieß Shawn.
Mit geballten Fäusten stand Janis neben der Tür zu Miras Zimmer und belauschte das Gespräch zwischen Mira und Milo.

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Wütend stieß er sich von der Wand ab und ging mit schnellen Schritten zu dem kleinen Balkon am Ende des Flurs. Er musste sich beruhigen und frische Luft tat in solchen Fällen bekanntlich gut. Immer noch sauer riss er die Tür auf und ließ sich auf den Stuhl fallen. Genervt warf er den Kopf nach in den Nacken und presste sich die Handballen gegen die geschlossenen Augen. Langsam wurden seine Gedanken wieder klarer und sein Herzschlag beruhigte sich. Irgendwann würde ihm diese Aufregung nochmal einen Herzinfarkt bescheren, da war er sich sicher.
„Das sieht dämlich aus!“
Die hohe Mädchenstimme erklang aus dem Nichts und beförderte Janis wieder in die senkrechte Sitzposition.
„Lilly?“, fragte Janis und schaute sich suchend um. Als er dann genauer hinsah, konnte er eine Gestalt in der Dunkelheit ausmachen, die seiner Schwester glich.

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„Was machst du da?“, fragte er verdutzt in die Dunkelheit hinein. Erst als er aufstand und zu seiner Schwester ging, konnte er erkennen, dass sie am Teleskop stand und in den Sternenhimmel sah. Immer wieder hob sie kurz den Blick, suchte die kleinen Rädchen, schaute wieder mit einem Auge durch das Fernrohr und begann die Schärfe einzustellen; ihre Griffe saßen so sicher, dass es den Anschein erweckte, als würde sie nichts anderes machen. Begeistert begutachtete Janis das teure Stück, dass ihm zuvor noch gar nicht aufgefallen war. Wie konnte ihm das nur entgangen sein?

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„Darf ich auch mal?“, fragte er sofort, als Lilly an weiteren Einstellungen feilte.
„Nein.“
„Wieso nicht?“
„Weil du sauer bist und ich nicht will, dass du das hier kaputt machst.“
Genervt stöhnte Janis laut auf.
„Ich bin nicht sauer!“, versicherte er ihr und wurde ungeduldig.
„Du klingst aber so.“
Er wusste, ab welchem Punkt es keinen Sinn mehr machte mit seiner Schwester zu diskutieren, also setzte er sich zurück in seinen Stuhl und erzählte von dem Gespräch, dass er belauscht hatte.
Er wusste nicht, ob Lilly ihm wirklich zuhörte, zumindest hatte sie ihn nicht einmal unterbrochen und dafür war er ihr sehr dankbar. Als er alles erzählt hatte, starrte er erwartungsvoll auf seine Schwester, die mittlerweile das Teleskop und sämtliche Richtungen lenkte.
„Hast du gar nichts dazu zu sagen?“, fragte Janis und knallte mit der Faust auf das Schachbrett.
„Denkst du nicht, dass er Schuld ist? Ich bin wirklich sauer und ich kann nicht verstehen, wie Milo ihn so in Schutz nehmen würde. Gott, wenn ich den Typen sehen würde, ich würde... ich würde...“ Knurrend biss sich Janis auf die Unterlippe und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Was ich denke?“
„Ja, Lil, wie denkst du darüber.“
„Das würdest du nicht nachvollziehen können.“
„Und wieso nicht?“
„Weil du den IQ einer Banane hast!“
Seine kleine Schwester war wirklich nicht immer die beste Hilfe und dennoch schaffte sie es immer wieder, die tobende Flamme in ihm ein wenig zu bändigen. Grinsend schüttelte Janis nur den Kopf und murmelte ein leises „Oh man“.
Als Lilly jedoch kurz fluchte und ihren Kopf von dem kleinen Fernrohr am Teleskop hob und auf die Straße herunter schaute, wurde auch Janis stutzig. Normalerweise konnte Lilly so schnell nichts aus der Fassung bringen.
„Was ist los?“, fragte Janis ohne aufzustehen und selber nachzusehen. Falls das nämlich eines ihrer komischen Tricks sein sollte, wollte er auf keinen Fall ihr Opfer sein.
„Was wolltest du nochmal mit Shawn anstellen, wenn du ihn sehen solltest?“, fragte Lilly langsam und streckte ihren Kopf ein wenig über das Geländer des Balkons.
„Wieso?“, fragte Janis, stand nun doch auf und stellte sich neben sie. Als er ihrem Blick folgte, blieb ihm fast die Luft weg. Aus dem Taxi stieg eine Person und ging zögernd den Weg zum Hauseingang entlang. Ohne weiter darüber nachzudenken, lief Janis ins Haus, sprang fast die komplette Treppe herunter und stürmte nach draußen in die Nacht. Als die fremde Person den Teenager auf sich zurennen sah, blieb der Fremde stehen. Als ein fahrendes Auto mit seinen Lichtscheinwerfern das Gesicht für ein paar Sekunden erhellte, brannten in Janis alle Sicherungen durch. Mit einem Sprung landete er auf dem Fremden und riss ihn zu Boden.
„Shawn“, knurrte Janis und packte ihn am Kragen.
„Und du bist?“, fragte Shawn trocken, der noch immer auf dem Boden lag und in die goldbraunen Augen seines Angreifers schaute.
„Wie konntest du das meiner Schwester antun!“, fauchte Janis wieder und versuchte den Wunsch zu unterdrücken, Shawn jetzt eine reinzuhauen. Er fühlte sich wie eine tickende Zeitbombe – ein falsches Wort, eine falsche Mimik und er würde komplett ausrasten.
Der rothaarige, junge Mann legte die Stirn und Falten und dachte kurz nach.
„Janis?“, fragte er irgendwann zögerlich und versuchte sich aufzurichten, doch Janis schmiss ihn sofort wieder zu Boden.
„Was willst du hier?“
„Das... weiß ich noch nicht, aber wenn du mich aufstehen lassen würdest, dann könnte ich versuchen es dir zu erklären.“ Nach kurzem zögern ging Janis schließlich von Shawn runter und ließ ihn aufstehen. Abwartend verschränkte er wieder die Arme vor der Brust und verengte die Augen zu kleinen Schlitzen.
„Also?“, fragte er scharf und ging einen Schritt näher auf Shawn zu, der sich erst einmal den dreck aus den Klamotten klopfte.
„Du bist groß geworden. Und stark“, stellte er überrascht fest und musterte die ältere Version von dem kleinen Jungen, den er damals kennengelernt hatte. Als Antwort gab Janis nur ein abfälliges Schnauben von sich.
„Okay...“ Die Miene des unerwarteten Besuchers verdunkelte sich. „Scheinbar bin ich nicht nur ihr eine Erklärung schuldig.“

* * * *
„Shawn!“
Fassungslos stand Milo im Türrahmen und sah seinem besten Freunden seit langer Zeit das erste Mal wieder direkt in die Augen. Das Janis direkt an ihm vorbei in die Wohnung ging und in seinem Zimmer verschwand, bemerkte er gar nicht. Seine Augen waren nur auf seinen besten Freund gerichtet. Die letzten Wochen haben ihm sehr zugesetzt. Dunkle Ränder zeichneten sich unter seinen traurigen Augen ab. Seine sonst so gestylten Haare sahen aus, als wäre ein kräftiger Windstoß durchgefegt – jede Strähne lag in eine andere Richtung, standen teilweise auch ab. Mehr als ein müdes Lächeln konnte Shawn nicht aufbringen - als hätte man ihm seine letzten Kräfte genommen.

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„Willst du … reinkommen?“, fragte Milo etwas unsicher, öffnete die Tür noch weiter und wies mit einer Handbewegung in den Flur. Das Entsetzen stand Milo ins Gesicht geschrieben, was Shawn natürlich nicht entging. Entschuldigend schaute er an sich runter und zuckte grinsend mit den Schultern.
„Was soll ich sagen...“, setzte er an und sein Blick verfinsterte sich wieder, „...ich hatte schon bessere Tage. Aber ich bin jetzt wieder da und wollte einmal kurz...“
Sein Blick wanderte an Milo vorbei und blieb an dem jungen, hübschen Mädchen hängen, das regungslos hinter Milo stand. An dem Mädchen, dass er tagtäglich in seinen Träumen sah. In seinen Albträumen. Die blauen Augen starrten ihn genauso geschockt an, wie er sich fühlte.
„Mira“, flüsterte er mit bebender Stimme und seine Augen schauten sie mit einem Ausdruck an, den sie bis heute nicht deuten konnte. Zu viele Emotionen lagen in diesem Blick. Freude, Trauer, Panik, Verwirrung.

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Alle Gefühle spiegelten sich abwechselnd in seinen Augen wieder und Shawn sah aus, als würde er gleich ohnmächtig werden. Ehe Milo etwas sagen, oder gar reagieren konnte, hob Shawn seine Hand und murmelte ein „Tschüss“, machte auf dem Absatz kehrt und ging mit schnellen Schritten weg. Ohne zu überlegen, schlüpfte Mira in die ersten Schuhe, die sie finden konnte und stürzte zur Tür raus. Milo wollte schon hinterher rennen, wurde aber von Lilly am Arm zurück gehalten. Als er sie fragend ansah, schüttelte sie nur den Kopf und sah zur offenen Tür raus. War das wirklich Shawn? War das sein bester Kumpel gewesen, der sich seit Wochen nicht mehr gemeldet hatte und jetzt, wie aus dem Nichts, an der Haustür auftauchte?

* * * *

Obwohl Shawn nicht wirklich rannte, hatte Mira Schwierigkeiten hinterher zu kommen. Immer wieder rief sie laut seinen Namen in die pechschwarze Nacht, doch er schien sie nicht zu hören. Der Untergrund, auf dem sie lief, veränderte sich. Der sonst so weiße Sand, sah durch den wolkenverhangenen Mond nun grau aus und das sonst so ruhige Meer warf seine Wellen mit einer Wucht gegen die Klippen, dass es angsteinflößend war. Nachts sah alles anders aus, und doch fürchtete Mira sich nicht. Zu tief saß diese Schocksekunde, als sie in sein Gesicht geschaut hatte. Noch schlimmer war die Sekunde, in der er ihr den Rücken zugekehrt hatte und verschwand. Schon wieder. Dieses Mal wollte sie ihn aber nicht gehen lassen.

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Doch nun stand sie an diesem dunklen Strand und der Wind lockerte vereinzelte Haarsträhnen aus ihrer Frisur und blies sie ihr ins Gesicht. Die Dunkelheit hatte ihn verschluckt und so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte ihn nicht finden. Das Gefühl, dass ihr schon wieder etwas wichtiges genommen wurde, war schwer zu ertragen. Verzweiflung, Traurigkeit und Wut über sich selbst, waren nur ein Bruchteil der Gefühle, die sie mit einem Mal überrumpelten.

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Ihre Knie zitterten so stark, dass sie die Last ihres Körpers nicht mehr halten konnten und einknickten. Das brennen in den Augen nahm überhand und kleine Tränen tropften auf den kalten Sand. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und immer wieder schlug sie wütend auf den Sand ein. Wie konnte er das nur wieder machen? Wie konnte er sie wieder so alleine lassen, wo er doch sicher der Einzige war, der sie verstehen konnte? Der Wind wehte durch ihre durchnässten Klamotten und hinterließ eine Gänsehaut auf ihrem gesamten Körper. Wie erbärmlich, dachte sie sich und spürte eine heiße Träne die Wange entlang gleiten. Langsam richtete sie sich wieder auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Plötzlich hielt sie in ihrer Bewegung inne. Etwas schweres lag auf ihrer Schulter und erschrocken drehte sich Mira zur Seite. Eine dunkle Gestalt mit Kapuze stand neben ihr.

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Die Haare verdeckten sein Gesicht und seine Haltung wirkte bedrohlich. Erst, als die Wolken den Mondschein wieder auf die Erde schienen ließen, erhellte sich auch das Gesicht der Person vor ihr. Die Hand schwebte noch immer an der Stelle, an der zuvor ihre Schulter gewesen war. Zögerlich zog er sie zurück und streifte sich mit beiden Händen die Kapuze vom Kopf.

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„Shawn!“, hauchte Mira und starrte ungläubig auf den jungen Mann vor ihr. Immer wieder schaute er sich um und Mira konnte seine Gedanken erahnen. Schnell sprang sie auf und klammerte sich an seinen Arm. Etwas verdutzt schaute Shawn an sich herunter und spürte, wie ihr ganzer Körper zitterte. Es war wirklich kühl geworden und sie stand in nichts weiter als T-Shirt und kurzer Hose vor ihm. Ein kleines Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, als er sich an dem freien Arm aus der Jacke befreite.
„Darf ich?“, fragte er nur und löste Miras Hände von seinem Arm. Als sie ihren Blick hob, war es wie ein Stich ins Herz. Ihre Augen waren rot verquollen und noch immer rannen ihr kleine Tränen die Wangen herunter. Als er sich vollends seine Jacke ausziehen konnte, legte er Mira die Jacke um die Schultern. „Besser?“, fragte er und lächelte zufrieden als Mira nickte. Gerade wollte er sich wieder umdrehen, als sie erneut seinen Arm umklammerte. Wieso machte sie es ihm nur so schwer?
„Geh nicht“, flüsterte sie mit gesenktem Kopf. Obwohl das Rauschen der Wellen laut war und der Wind jedes Wort verschlucken müsste, verstand er sie. Sollte er gehen? Oder doch bleiben?
Doch durfte er so einfach wieder ohne eine Erklärung verschwinden? Innerlich bereute er es schon fast, hierher gekommen zu sein.
Er schloss seine Augen und dachte nach.
„Okay“, sagte er und führte Mira, die noch immer an seinem Arm hing, weiter abseits vom Strandabschnitt zu einer windgeschützten Stelle.

Sofort wurde es deutlich angenehmer. Die Luft war durch den fehlenden Wind nicht mehr ganz so kühl und das rauschende Meer war nur noch als Hintergrundgeräusch wahrzunehmen. Lange saßen Beide da und wussten nicht was sie sagen sollten. Während Shawn darüber nachdachte, wie er das längst überfällige Gespräch beginnen sollte, stieg in Mira der Druck an, etwas zu sagen, ehe Shawn einfach aufstehen und verschwinden würde.

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„Du hast sicher viele Fragen, oder?“ Wieder war es Shawn der sprach. Während er das fragte, vermied er jeden direkten Blickkontakt. Sein Blick ging in die Ferne – raus aus Meer. Der Mond schien ihm direkt ins Gesicht und zeigten deutlich die Auswirkungen der letzten Monate. Als sie ihn kennen gelernt hatte, war er so auf sein Aussehen fixiert gewesen, dass ihm nichts wichtiger zu sein schien, als perfekt auszusehen. Doch nun waren seine Augenringe schon so tief, dass sie sich auf seiner Haut abgesetzt hatten und durch neue überlagert wurden. Die sonst so ebenmäßige Haut in seinem Gesicht war übersät mit kleinen Falten, die besonders tief auf seiner Stirn saßen. Er sah deutlich älter aus, als er eigentlich war und irgendwie konnte Mira nicht anders und gab sich die Schuld dafür.

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„Es tut mir leid“, sagte sie und konnte das kleine Schluchzen nicht unterdrücken. Etwas verwirrt sah er Mira an.
„Was tut dir leid?“
„Das... alles!“
Shawn musste kurz auflachen und schüttelte den Kopf.
„Wenn sich einer entschuldigen muss, dann ich“, sagte er und lächelte sie ungläubig an. Wie konnte sie nur denken, dass es ihre Schuld sei?
„Nein“, erwiderte Mira stur und steigerte sich immer weiter in ihre Schuldgefühle rein.
„Wenn ich nicht so blöd gewesen wäre... Wenn ich nicht so dumm gewesen wäre...“, doch sie konnte ihre Sätze nicht beenden. Sie wusste selbst nicht, wo sie anfangen sollte mit der Auflistung, wie alles anders gekommen wäre, wenn sie alles anders gemacht hätte.
Immer noch fassungslos starrte Shawn auf das kleine Häufchen elend neben ihm. Gedanken und Gefühle schossen ihm durch den Kopf, die er versuchte zu ignorieren, was wirklich alles andere als leicht war.

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Mira hatte ihre Arme um die angezogenen Knie geschlungen und schluchzte leise vor sich her.
„Nichts davon ist deine Schuld. Wenn überhaupt, muss ich mir Vorwürfe machen. Ich hätte es dir sagen müssen. Ich hätte es euch allen sagen müssen.“
„Du... wusstest es?“ Ungläubig starrte Mira ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Doch ehe sie ihm an die Kehle springen und anbrüllen konnte, erzählte er weiter.
„Liz hatte mich gebeten, es niemandem zu sagen. Nicht einmal dir. Sie hatte Angst, dass ihr euch ihr gegenüber anders verhalten könntet. Im Nachhinein war sie eine tickende Zeitbombe und ich bereue es jeden Tag euch nicht gewarnt zu haben. Ich war mir dem Risiko bewusst und hab es für mich behalten. Und als ich dann dieses Foto von euch sah... Ihre Augen...“ Sein Blick senkte sich und er biss sich auf die Lippe um nicht loszubrüllen. Er hatte mit niemanden darüber geredet und dann ausgerechnet Mira das zu erzählen war die reinste Folter. Er wusste, dass sie ihn hassen würde – wenn sie es nicht schon tat. Er hätte es ihr nicht verübeln können, er hasste sich ja selbst dafür.
Als er das warme pochen seiner Lippe spürte und ein bisschen Blut in seinem Mund schmeckte, atmete er einmal tief durch und fuhr mit seiner Erklärung fort.
„Auf dem Foto hatte ich es gesehen. Ich war mir nicht sicher, ob ich deswegen umkehren sollte oder nicht, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass da etwas faul sein würde. Also drehte ich unter dem Vorwand mein Portemonnaie vergessen zu haben um und ...“
Diesen Teil seiner Erinnerung rief er sich ungern zurück in sein Gedächtnis. Musste er auch nicht. Jede Nacht spielte sich diese Szene vor seinen Augen ab. All die Farben, die auf ihn schossen, wie ein Maschinengewehr. Rot. Blau. Schwarz. Grün. Auch wenn er diese Farben nur verschwommen sah, konnte er sie ohne mit der Wimper zu zucken zu ordnen und dem ganzen Farbklecks die verdrängte Szene entlocken. Das Blut auf dem Boden. Die blauen leblosen, aufgerissenen Augen. Die schwarzen Haare, die teilweise in den roten Pfützen auf dem Boden lagen und zum Schluss, der grüne Blick, der ihn geisteskrank anbrüllte.

All diese Erinnerungen kamen zurück und trafen ihn mit einer Wucht, die ihm schlecht werden ließ. Sein Puls raste und innerlich schien er durch die Gefühlskonfrontation zu explodieren. Als er zitternd zur Seite schaute und in Miras blaue Augen sah, verschwand all seine Stärke und er sackte in sich zusammen.

Auch wenn Mira zuerst wütend gewesen war, weil er ihr all das verschwiegen hatte, konnte sie nicht anders, als ihn zu umarmen. Sie hatte sich hinter ihn gesetzt, sich auf seinen Rücken gelehnt und ihre dünnen Arme um seinen Oberkörper geschlungen.
„Es ist nicht deine Schuld“, flüsterte sie ihm ins Ohr und spürte, wie das zittern weniger wurde. „Du bist der Grund, warum ich noch lebe. Du hast mich gerettet. Niemand hätte es vorhersehen können. Du hast mich gerettet, alles andere ist für mich unwichtig. Und jetzt werde ich dich retten.“
Ihre Worte schienen ihre Wirkung zu zeigen, denn langsam drehte er sich zu ihr um und sah sie an.
„Das kann ich nicht verlangen“, hauchte er und ihr Gesicht spiegelte sich in seinen glitzernden Augen wieder. Ehe sie sich versah, lag ihr Gesicht in seiner warmen Hand und seine Lippen auf ihren.

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Eine Sekunde. Mehr braucht es nicht, um ein Leben zu ändern. Oder zu retten.

Irgendwie ist dort ein ziemlich großer Abschnitt ohne Bild ^__^' Ich werde nochmal nachträglich welche machen und sie hier in den nächsten Tagen ergänzen. Tut mir Leid °_°
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Wer am Tag träumt, wird sich vieler Dinge bewußt, die dem entgehen, der nur nachts träumt.

Edgar Allan Poe
(1809 - 1849), US-amerikanischer Journalist, Dichter und Literaturkritiker

Geändert von Minchen (16.10.2015 um 19:25 Uhr). Grund: Bilder nachträglich eingefügt
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