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  #1 (permalink)  
Alt 31.10.2012, 20:09
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Duft

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Sinne. Es gibt verschiedene. Sehen. Hören. Schmecken. Fühlen. Und Riechen. Man sagt, die Nase ist das empfindlichste Sinnesorgan. Man nimmt am Tag Tausende verschiedener Gerüche wahr. Wenn man morgens die Augen aufschlägt, den Geruch der Bettdecke, beim Zähne putzen den Duft der Zahnpasta, den Duft der Haare, die einem ins Gesicht fallen, beim Frühstück den Duft von Kaffee und Brötchen, auf dem Weg zur Arbeit den Duft der eigenen Kleidung. Auch unfreiwillige Gerüche nehmen wir wahr. Abgase, Benzin, Bauschutt, unangenehme Parfums, Schweiß. Gerüche beeinflussen uns. Sie wecken die verschiedensten Gefühle in uns. Sie wecken Erinnerungen und halten sie am Leben.

Es ist mehr als nur ein Gefühl, diesen Pullover in den Händen zu halten. Allein der Anblick weckt in ihr so viele Erinnerungen, dass ihr schwindelig davon wird. Ihre Finger krallen sich in dem Stoff fest und hinterlassen feine Fältchen. Die Fingerspitzen werden vom Druck ganz taub, doch das nimmt sie nur am Rande wahr. Es ist unwichtig. Belanglos.
Sie schließt die Augen und vergräbt ihre Nase in dem weichen Stoff. Die Fasern kitzeln ihre Nasenspitze, als sie tief einatmet, um jede noch so kleine Duftnote in sich aufzusaugen. Eine einzigartige Mischung aus Holz, Gras und Aftershave. So vertraut.

„Was soll ich nur tun, wenn ich dich irgendwann nicht mehr riechen kann?“, fragt sie mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen, während sie ihre Nase in seinen Kragen drückt und seinen Geruch begierig in sich aufnimmt.
Er lacht. Sie spürt das Vibrieren an seinem Hals. „Warum solltest du es nicht mehr können?“, entgegnet er und spielt mit ihren Haaren.

Völlig gedankenlos hebt sie ihre Hand und zwirbelt eine ihrer Locken um ihren Finger. Es fühlt sich gut an. Er hat es geliebt, das zu tun. Der Pullover entgleitet ihr und fällt zu Boden. Sein Geruch ist verschwunden. Er ist verschwunden. Benommen öffnet sie die Augen. Sie ist wieder allein.

Allein.

Look at the stars. Look how they shine for you.“, sie streicht ihm eine Haarsträhne aus der Stirn, während sie leise für ihn singt. „And everything you do. Yeah, they were all yellow.“ Seine Augen sind geschlossen, doch er ist immer noch bei ihr. Das zeigt das schwache, kaum sichtbare Lächeln auf seinen Lippen. Sie tunkt einen Waschlappen in kaltes Wasser und tupft ihm damit die Stirn ab. Sein Fieber wird nicht mehr sinken, doch sie will es ihm so angenehm wie möglich machen.
„Sing.“, haucht er. Es ist fast nicht zu hören.
I came along. I wrote a song for you.“, singt sie, während sie weiterhin sein Gesicht abtupft. „And all the things you do. And it was called yellow.“
Sie legt den Waschlappen in die Schale und stellt sie weg. Sie legt sich neben ihn. „So then, I took my turn. Oh what a thing to’ve done. And it was all yellow.”
Sie vergräbt ihr Gesicht an seinem Hals. Seine Haut ist nicht mehr so heiß. Sie atmet tief ein. „And you know, you know I love you so. You know I love you so…
Sein Duft ist verschwunden.

Sie sieht hinab zu ihren Füßen. Sie bückt sich und hebt den Pullover auf. Liebevoll lässt sie den Stoff durch ihre Finger gleiten. Ihre Augen werden feucht. Schnell presst sie sich den Pullover wieder auf die Nase. Augenblicklich wird sie wieder von seinem Duft umnebelt. Zeit und Raum spielen keine Rolle mehr. Armut und Reichtum. Krieg und Frieden. Hass und Liebe. Sommer oder Winter. Es spielt alles keine Rolle. Solange sie ihn riechen kann, ist alles in Ordnung. Solange sie ihn riechen kann, ist er noch immer bei ihr.



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Geändert von maikemaya (03.12.2012 um 13:54 Uhr).

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Alt 01.11.2012, 12:46
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Wow, ich bin echt beeindruckt. Du hast diese kleine Szene zwischen den beiden so wunderbar beschrieben… Tja, wenn man einander nicht mehr wahrnehmen kann, egal auf welche Art und Weise, dann kann das mehrere Ursachen haben… In diesem Fall, so habe ich es verstanden, ist er wohl krank und wird nicht mehr lange leben. Doch sie leben den Moment, gemeinsam… Und das ist es, was zählt.

Super Arbeit!
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maikemaya (01.11.2012)
  #3 (permalink)  
Alt 01.11.2012, 12:56
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Das hast du sehr schön gesagt und zusammengefasst.

Dankeschön!
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  #4 (permalink)  
Alt 03.11.2012, 12:11
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wunderschön geschrieben!
wie du die szene mit der frau, die sich erinnert, mit den erinnerungen von dem geruch verknüpft hast, fand ich großartig!
und deine wortwahl ist auch wunderschön.
man bekommt richtig das gefühl in dem moment anwesend zu sein und auch zu riechen, was sie riecht.
finde ich eine sehr interessante herangehensweise an eine kurzgeschichte (ist es doch, oder?), besonders weil man bei düften so wunderbar mitfühlen kann und selber in der geschichte ist.
finde ich großartig!
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maikemaya (04.11.2012)
  #5 (permalink)  
Alt 04.11.2012, 11:27
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Oh, ihr seid alle so lieb! Dankeschön!
Macht echt Spaß hier Geschichten zu posten.

Ich habe manchmal so Eingebungen (gestern Abend während eines Konzertes schon wieder), woraus solche Kurzgeschichten (ja, es ist eine.) entstehen. Keine Ahnung, wo die immer herkommen.

Es freut mich jedenfalls, dass so wenig Worte eine solche Wirkung auf euch haben. Eigentlich unglaublich. Aber toll, danke!



Viele Grüße,
maikemaya

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misscaterpillar (04.11.2012)
  #6 (permalink)  
Alt 04.11.2012, 13:18
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Wirklich schön geschrieben! (:
Der Text hat mir sehr gut gefallen und das Lied hab ich auch gleich erkannt.
Ich würde mich freuen, mehr von dir lesen zu können

LG Risa
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maikemaya (04.11.2012)
  #7 (permalink)  
Alt 04.11.2012, 14:57
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Hallom Maikemaya!

Eine schöne Geschichte. Ich verstehe es so: Er ist längst tot, das andere, also die Szenen in denen sie für ihn singt bzw. an seinem Bett Wache hält, sind Rückblenden. Die Gegenwart sind die Szenen, in denen sie an seinem Hemd riecht und noch einmal versucht, ihn für sich lebendig zu machen.

Es ist sehr schön beschrieben, vorallem die Idee gefällt mir sehr. Erinnert mich an einen Exfreund von mir, der immer ein ganz bestimmtes Aftershave benutzt hat. Irgendwann war es vorbei mit uns, aber jedes Mal, wenn ich diesen Geruch wahrnahm, egal wo - in S-Bahn, auf der Straße usw. - an irgend einem anderen Mann, ertappte ich mich dabei, dass ich mich umdrehen musste, um den Geruch noch einmal in mich aufzusaugen. Klingt vielleicht bescheuert, aber irgendwie war er in diesen Momenten wieder bei mir und es hat einerseits geschmerzt, auf der anderen Seite hat es unheimlich gut getan.

Auch wenn der Schmerz zu der Hauptperson in deiner Kurzgeschichte nicht vergleichbar ist... Ich kann sie verstehen. Tolle Geschichte und sehr gefühlvoll beschrieben!
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Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du...

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Folgender Benutzer sagt Danke zu Zenai für den nützlichen Beitrag:
maikemaya (04.11.2012)
  #8 (permalink)  
Alt 04.11.2012, 15:55
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@Risa
Dankeschön! :> Freut mich!
Keine Sorge, mein Kopf ist so voll, ich könnte noch ganze Bücher damit schreiben. Ich werde euch noch ein bisschen damit zuschütten.

@Zenai
Hallo!
Genau das ist der Grundgedanke.
Sowas wie bei dir mit deinem Exfreund hat mich letztendlich auch zu dieser Geschichte inspiriert. Düfte, die man mit etwas verbindet, können einen richtig umhauen.
Danke für deinen lieben Kommentar!
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Zenai (05.11.2012)
  #9 (permalink)  
Alt 04.11.2012, 16:17
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Die Kurzgeschichte ist wirklich schön geschrieben!

Auch die englischen Zeilen zwischendurch unterstreichen das ganze!

Gefällt mir sehr gut!
Danke das du das mit uns geteilt hast.
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maikemaya (04.11.2012)
  #10 (permalink)  
Alt 04.11.2012, 17:03
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Danke, Biene!
Immer wieder gerne!

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